Freundschaft ist manchmal wichtiger als Sex
Im Allgemeinen ist Freundschaft in Beziehungen wichtiger als Sex und je länger eine Beziehung dauert und je tiefer die Freundschaft wird, desto mehr nimmt gewöhnlich die Frequenz und wohl auch die Qualität der sexuellen Begegnungen ab. Michael Lehofer ergänzt: „Das ist für viele Menschen kein Problem, für andere aber ein Schatten über ihrem Leben. Mitunter fühlen sie sich vom Sex in die Falle gelockt – und dann ist plötzlich Fastenzeit.“ Sexualität wird hauptsächlich als biologischer Trieb erlebt, ist jedoch eine von vielen Möglichkeiten, Bindungssicherheit zu erlangen. Sie ist, wie Michael Lehofer zu sagen pflegt, eine Möglichkeit der Kommunikation. Univ.-Prof. Dr. med. Dr. phil. Michael Lehofer ist ärztlicher Direktor und Leiter der einer Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie am Landeskrankenhaus Graz II.
Sex hat immer viel mit Psychologie zu tun
Vor allem Menschen, die Bindung hauptsächlich durch gelebte Sexualität erfahren, sind durch mangelnde Sexualität in der Regel auf nachhaltige Weise gekränkt. Sex ist immer psychologischer als die meisten Menschen glauben. Michael Lehofer erklärt: „Der US-amerikanische Paar- und Sexualtherapeut David Schnarch hat sich mit der Frage, warum der Sex in längerfristigen Beziehung manchmal eine ungünstige Entwicklung nimmt, intensiv beschäftigt. Sexualität erlebt in solchen Beziehungen nicht selten ein Fade-out.“
David Schnarch ist zu dem Schluss gekommen, dass die sogenannte Entdifferenzierung in länger dauernden Paarbeziehungen eine große Rolle spielt. Was ist mit Entdifferenzierung gemeint? Michael Lehofer erläutert: „Wenn man einen erotisch faszinierenden Menschen kennenlernt, verliebt man sich in ihn als Weltwunder. Dieser Mensch ist einfach anders, anziehend anders. Das ist das Wesen der erotischen Anziehung: Sie ist unbeschreiblich weiblich, er unbeschreiblich männlich. Doch im Laufe einer Beziehung kommt es zu einer lähmenden Institutionalisierung der Partnerschaft.“
Vertrautheit ist das Schlimmste für eine Paarbeziehung
Man wird sich vertraut. Das Zauberhafte versickert. Obwohl die meisten Menschen Vertrautheit als ein besonders positives Merkmal einstufen, ist es in den Augen von Michael Lehofer das Schlimmste, was in einer Paarbeziehung passieren kann. Denn Vertrautheit in Beziehungen ist immer eine Fiktion. Sie bedeutet, dass man glaubt zu wissen, wie der andere ist. Und das ist ein Irrtum. Michael Lehofer fügt hinzu: „Der andere, der Mensch an unserer Seite ist immer ein Wunder, das es zu bestaunen gilt. Wir können ein Leben lang von ihr oder ihm lernen – wenn wir wollen.“
Partnerschaften, in denen sich die Betroffenen nicht einlassen können, sind mitunter sehr stabil: In solchen Partnerschaften kann die Falle der übergroßen Vertrautheit nicht zuschnappen. Michael Lehofer kennt ein Paar, das sich schon seit Jahren trennen will. Er ist total fasziniert von dieser Frau, obwohl sie eine Art von Oberflächlichkeit besitzt, die schmerzlich ist. Was ihn wirklich anzieht, und das versteht er nicht, ist die Tatsache, dass die gelernt hat mit anderen Menschen so zu spielen, dass diese sich ihrer nie sicher sein können. Quelle: „40 verrückte Wahrheiten über Frauen und Männer“ von Michael Lehofer
Von Hans Klumbies